In der hektischen Welt von heute scheinen wir oft in einem endlosen Streben nach Zielen und Erfolgen gefangen zu sein. Dabei vergessen wir oft das Wichtigste – uns selbst. Doch was bedeutet es eigentlich, sich selbst zu erfahren, und warum ist es so entscheidend für ein erfülltes Leben?

Das Paradoxon der Selbstentdeckung liegt darin, dass wir uns erst dann wirklich finden, wenn wir lernen, uns selbst zu vergessen. Das mag zunächst paradox klingen, doch es birgt eine tiefe Wahrheit in sich. Sich selbst zu erfahren bedeutet nicht nur, seine Stärken und Schwächen zu erkennen, sondern auch die Verbindung zu anderen Menschen und zur Welt um uns herum zu spüren.

Oftmals sind wir so in unsere eigenen Gedanken, Ängste und Wünsche vertieft, dass wir den Blick für die Schönheit und Tiefe des Lebens verlieren. Wir sind wie in einem engen Kokon gefangen, der uns daran hindert, die Vielfalt und Fülle des Lebens wirklich zu erleben.

Doch wie können wir dieses Paradoxon überwinden? Es beginnt damit, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und sich bewusst zu machen, dass das „Ich“ nicht isoliert existiert, sondern Teil eines größeren Ganzen ist. Es bedeutet, sich für die Bedürfnisse und Empfindungen anderer zu öffnen und Mitgefühl zu entwickeln.

Ebenso wichtig ist es, loszulassen. Loslassen von Erwartungen, von der Vergangenheit, von dem Drang nach Perfektion. Denn erst wenn wir uns von diesen Fesseln befreien, können wir Raum schaffen für das authentische, lebendige Selbst, das in jedem von uns schlummert.

Die Kunst, sich selbst zu vergessen, bedeutet nicht, die eigene Individualität aufzugeben, sondern vielmehr, sie zu vertiefen und zu erweitern. Es ist wie das Öffnen eines Fensters, durch das frische Luft und neues Licht hereinströmen. Es erlaubt uns, tiefer zu atmen und die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Indem wir uns selbst vergessen, öffnen wir uns für die unendlichen Möglichkeiten des Lebens. Wir erkennen, dass Glück nicht in materiellen Besitztümern oder äußeren Erfolgen liegt, sondern in der Verbindung zu uns selbst und zu anderen Menschen.

In der Selbstvergessenheit finden wir letztlich unsere wahre Bestimmung. Wir erkennen, dass wir ein Teil des großen Ganzen sind, eingebettet in den Kreislauf des Lebens. Wir erkennen, dass unser individuelles Glück untrennbar mit dem Glück anderer verbunden ist.

Sich selbst zu erfahren heißt, sich selbst zu vergessen. Es bedeutet, sich von den engen Grenzen des Egos zu lösen und die Weite des Seins zu erkunden. Es bedeutet, das Leben in seiner ganzen Fülle zu umarmen und die Schönheit des Augenblicks zu genießen.

Im Zen wird die Idee der Selbstvergessenheit als ein zentraler Aspekt der spirituellen Praxis betrachtet. Diese Philosophie lehrt uns, dass wahres Erwachen erst dann möglich ist, wenn wir das egozentrische Denken und das Festhalten an unserem „Ich“ überwinden.

Liebe Leserinnen und Leser, die Reise zur Selbstvergessenheit im Sinne des Zen ist ein Weg, der uns dazu einlädt, tief in unser eigenes Inneres zu blicken und die Verbindung zu allem, was existiert, zu spüren. Es ist eine Reise, die Geduld, Hingabe und eine offene Herzenshaltung erfordert. In der Stille der Meditation und der Achtsamkeit im Alltag finden wir den Raum, um uns selbst zu entdecken und uns mit der Welt in Einklang zu bringen. Die Kunst der Selbstvergessenheit ist kein Verlust des Selbst, sondern vielmehr ein Eintauchen in die wahre Essenz dessen, wer wir wirklich sind.

Rainer Schwenkkraus

Psychologischer Berater