Essen ist ein selbstverständlicher Teil unseres Alltags. Es gibt Struktur, verbindet, nährt – und es schenkt Genuss. Doch manchmal verändert sich die Beziehung zum Essen. Es wird mehr als ein Mittel zur Energieaufnahme. Es wird Gewohnheit. Trost. Flucht.

Vielleicht kennen Sie das: Ein stressiger Tag, ein leerer Abend, ein innerer Druck – und da ist der Impuls zu essen. Nicht, weil Sie körperlich hungrig sind, sondern weil etwas anderes in Ihnen ruft. Etwas, das auf andere Weise keinen Ausdruck findet.

 

Essen als Reaktion – nicht als Bedürfnis

Wenn Essen mehr wird als Nahrung, dann hat es oft eine tiefere Bedeutung. Es hilft dabei, Spannungen zu lösen, Emotionen zu dämpfen oder einfach nur für einen kurzen Moment die Welt draußen auszublenden.

Viele Menschen essen in solchen Momenten nicht bewusst, sondern automatisch. Der Griff zum Snack, zum Brot, zur Süßigkeit geschieht wie von selbst – manchmal begleitet von dem Gedanken: Ich brauche das jetzt. Und kurz darauf vielleicht von einem schlechten Gewissen.

Dabei ist genau dieser Moment ein Schlüssel. Denn er zeigt, dass Essen nicht das Problem ist – sondern ein Symptom. Eine Strategie, um mit etwas anderem umzugehen.

 

Das Muster hinter dem Verhalten erkennen

Essen als Trost oder Belohnung ist keineswegs selten. Und es ist auch nichts, wofür man sich schämen müsste. Vielmehr ist es hilfreich, innezuhalten und sich selbst zu fragen:

  • Was genau möchte ich gerade mit dem Essen ausgleichen?
  • Welche Gefühle oder Situationen gehen dem Essimpuls voraus?
  • Wie geht es mir kurz vor dem Essen – und wie danach?

In vielen Fällen wird deutlich: Es geht nicht um Hunger. Sondern um ein Bedürfnis nach Ruhe, Anerkennung, Ablenkung, Halt oder schlicht ein Moment der Entlastung.

 

Der Unterschied zwischen Hunger und Wunsch

Körperlicher Hunger kündigt sich langsam an, ist deutlich spürbar und lässt sich durch eine ausgewogene Mahlzeit gut stillen. Emotionales Essen hingegen kommt oft plötzlich. Es ist drängend, sucht nach bestimmten Lebensmitteln – meist fett- oder zuckerhaltig – und endet häufig nicht in Sättigung, sondern in Unzufriedenheit.

Diese Unterscheidung bewusst wahrzunehmen, kann ein erster Schritt sein, um mit dem eigenen Essverhalten achtsamer umzugehen – ohne Verbote, ohne starre Regeln, sondern mit einem ehrlichen Blick auf das, was wirklich gebraucht wird.

 

Verständnis statt Kontrolle

In meiner psychologischen Praxis geht es nicht um Disziplin oder Diätvorgaben. Es geht um das, was darunter liegt: um Ihre persönlichen Muster, Ihre Erfahrungen, Ihre Wege, mit dem Leben umzugehen.

Essverhalten ist kein Zufall. Es hat sich über Jahre entwickelt – als Schutz, als Lösung, als Routine. Und genau deshalb braucht es auch Zeit und Mitgefühl, um es zu verändern.

Denn: Niemand isst „zu viel“, weil er willensschwach ist. Häufig essen Menschen, weil sie gelernt haben, ihre Bedürfnisse über den Umweg Nahrung zu regulieren. Das darf man verstehen – nicht bewerten.

 

Ein achtsamer Weg zurück zum Spüren

Veränderung beginnt nicht mit einem Ernährungsplan. Sie beginnt mit dem Mut, sich selbst ehrlich zuzuhören. Und mit der Bereitschaft, neue Strategien zu entwickeln, die langfristig tragen:

  • Pausen, die wirklich erholen.
  • Gespräche, die berühren.
  • Bewegung, die belebt.
  • Routinen, die guttun.

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn Sie das Gefühl haben, dass Essen eine zu große Rolle in Ihrem Alltag spielt – seien Sie liebevoll mit sich. Es geht nicht darum, alles sofort zu ändern. Sondern darum, Schritt für Schritt neue Wege zu finden. Wege, die wieder zu mehr Leichtigkeit führen. Zu einem Essen, das nährt – und einem Leben, das erfüllt.

 

Rainer Schwenkkraus

Berater und Autor